Paul Knoblach, MdL im Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Abba Naor

„Egal, wo wir sind, kriegen wir zu spüren, dass wir Juden sind. Sind wir vielleicht die Schuldigen?“ Zitiert ist der Holocaust-Überlebende Abba Naor, der in der KZ-Gedenkstätte Dachau mit dem Schweinfurter Landtagsabgeordneten Paul Knoblach auch den „Rechtsruck in ganz Europa“ thematisierte. „Was wollen diese Menschen erreichen?“ Immer wieder stellte der 96-Jährige während des mehrstündigen Zusammentreffens Fragen wie diese.

Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und Abgeordneter der CSU hatte das Zusammentreffen vermittelt. Die Stiftung hat die KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg im Jahr 2003 vom Freistaat übernommen. Das auch um zu zeigen, dass die Erinnerung an das nationalsozialistische Unrecht nicht allein als staatlicher Auftrag verstanden werden kann, sondern vielmehr eine Aufgabe ist, die die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betrifft. Paul Knoblach ist das Erinnern an das Unrecht der Nazis ein Herzensanliegen. Er hat Dachau und Flossenbürg schon besucht, nimmt immer an den diesbezüglichen Gedenkfeiern in Schweinfurt teil und hat das Gesprächsangebot gerne übernommen.

Als Abba Naor am 2. Mai 1945 bei Waakirchen befreit wird, weiß der gerade 17-Jährige bereits mehr vom Tod, von Verzweiflung und menschlicher Brutalität, als die kampferprobten amerikanischen Truppen. Er ist 13, als seine Familie in das Ghetto in der Geburtsstadt Kaunas umziehen muss. Sein älterer Bruder Chaim wird dort von der SS erschossen. 1944 wird die Familie in das KZ Stutthof bei Danzig deportiert. Abba wird von seinem Vater Hirsch getrennt und muss miterleben, wie seine Mutter Chana und der jüngere Bruder Berale nach Auschwitz-Birkenau abtransportiert werden. Er sieht sie nie wieder.

Abba meldet sich freiwillig für die Lager Utting und Kaufering I, weil er dort seinen Vater vermutet. Kaufering I ist eines der elf Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, die die fürchterlichsten in Süddeutschland waren. Ungefähr die Hälfte der 30.000 jüdischen Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsindustrie kam dort zu Tode.

Nach der Befreiung durch die Amerikaner 1945 findet Abba Naor seinen Vater wieder. 1946 beschließt er, nach Palästina zu gehen, wo er – nach einem illegalen Einwanderungsversuch und Zwangsaufenthalt auf Zypern – 1947 ankommt. Er kämpft 1948 als Soldat im Unabhängigkeitskrieg und wird später Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad. Dort ist er in den 1980er Jahren an der Rettung der äthiopischen Juden beteiligt.

Im Buch „Ich sang für die SS: Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst“ hat Abba Naor das schreckliche Schicksal seiner Familie und sein Überleben beschrieben. Ein Exemplar überreichte er Paul Knoblach mit Widmung. Foto: Hannes Helferich
Im Buch „Ich sang für die SS: Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst“ hat Abba Naor das schreckliche Schicksal seiner Familie und sein Überleben beschrieben. Ein Exemplar überreichte er Paul Knoblach mit Widmung. Foto: Hannes Helferich

Abba Naor konnte – wie so viele Holocaust-Überlebende – lange nicht über die Schreckenszeit reden. 60 Jahre nach dem Holocaust beendet er sein Schweigen, seit Jahrzehnten betreibt er als Zeitzeuge in Schulen und Bildungseinrichtungen aktive Erinnerungskultur, pendelt dafür immer wieder zwischen Israel und vornehmlich München, wo Familienangehörige leben.

Im Gespräch mit Paul Knoblach und seinen ihn begleitenden Mitarbeiter*innen zeigt sich Naors große Erfahrung als Erzähler. Er schildert die schlimmsten Gräuel, berichtet, dass Zehntausende umgebracht wurden, „nur weil wir Juden waren“. Sobald die Atmosphäre dann aber zu bedrückend wird, lockert er die Stimmung auf überraschend humorvolle Art auf. Auch auf den Hinweis, dass bei der Europawahl im Juni rund 16 Prozent der 16- bis 23-Jährigen die AfD gewählt haben, sagt er mit einer Prise Humor: „Wären die nur mal zu mir gekommen“.

Dass die Jugendlichen immer gebannt zuhören, man bei seinen Vorträgen immer eine Stecknadel fallen hören könnte, erwähnt er so nebenbei. Er habe als Bub in Kaunas eine gute Kindheit erlebt, „wir waren anerkannt“, sagt er. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in seine Heimatstadt Kaunas änderte sich die Stimmung schlagartig. Da war Abba Naor 13 Jahre alt. Er und seine Familie wurden mit anderen jüdischen Familien in einem Ghetto isoliert. „Wir waren keine Menschen mehr, man konnte mit uns machen, was man wollte“.

Knoblach spricht von einem Wechselbad der Gefühle, das er im Gespräch Abba Naor durchmacht. Einerseits der Humor, dann wieder die geschilderten Gräuel. „Natürlich macht das nachdenklich, aber das reicht nicht, weil das, was Menschen anderen Menschen angetan haben, immer wieder aufs Neue erschüttert und ratlos macht“.

Abba Naor ist froh, dass er seinen Glauben in die Menschen nicht verloren hat, sagt er. Vor allem nicht in die Jugend. Für ihn ist das Wichtigste: „Mensch zu bleiben. Wir sind doch alle Menschen“ und stellt wieder eine Frage: „Wo ist der Unterschied?“. Zu seinem 96. Geburtstag hat die Stiftung Bayerische Gedenkstätten den Film „Father_Land_Scape“ über das Leben von Abba Naor in der Zeit des Nationalsozialismus Schulen Download zur Verfügung gestellt. Der zirka einstündige Film ist in neun Kapitel unterteilt, die den Lebensstationen von Abba Naor in diesen Jahren entsprechen. Idee, Konzept, Zeichnung und Regie stammen von der bildenden Künstlerin Esther Glück aus Dachau. Der Film kann inklusive Zusatzmaterialien kostenfrei heruntergeladen werden auf der Website der Stiftung Bayerische Gedenkstätten (https://www.stiftung-bayerische-gedenkstaetten.de/service/zeitzeuge-abba-naor-film-father_land_scape/download-kunstfilm-father_land_scape). Paul Knoblach und Karl Freller empfehlen Bildungseinrichtungen „diese bewegende künstlerische Umsetzung von Abba Naors Leid während des Naziterrors“.

Den jüdischen Holocaust-Überlebenden Abba Naor traf der grüne MdL Paul Knoblach zu einem Gespräch in der KZ Gedenkstätte Dachau. Foto: Hannes Helferich
Den jüdischen Holocaust-Überlebenden Abba Naor traf der grüne MdL Paul Knoblach zu einem Gespräch in der KZ Gedenkstätte Dachau. Foto: Hannes Helferich